Ungarn, dieses Januskoepfige Land, hat es immer verstanden aussichtsloseste Perioden nationalen Unterganges in eine lauwarme Scheinexistenz zu verwandeln.
So, nach den weissen Terror nach Horthy’s Machtergreifung in den fruehen zwanziger Jahren, ist der in Ungarn immer schon schwelende Antisemitismus ein bequem schnarchender Gulash-Antisemitismus geworden, wo die Ruhe nur durch die alljaehrlich traditionell gewordene Judenverpruegelung auf den Universitaeten fuer einige Zeilen in der Boulevard Presse gestoert wurde.
Die dreissiger Jahre waren die goldene Zeiten in Ungarn. In Budapest, das ein halbes Jahrhundert nach der Emanzipation der juedischen Bevoelkerung in eine herrliche und kosmopolitische ~Metropole verwandelt wurde, hat an den grossen juedischen Feiertagen fast die Haelfte der Bevoelkerung, und mit ihr, der Rest der Stadt aufgehoert zu arbeiten.
Unter diesen Umstaenden hat die Nachricht, die am Abend eines kuehlen Maerztages 1938 Budapest erreichte,dass auf den Heldenplatz in Wien Hunderttausende den Fuehrer mit hysterischem Jubel empfangen haben, bei der ueberwiegenden Mehrzahl der juedischen Bevoelkerung nur den immer wieder mantraartig wiederholten Spruch hervorgebracht - Bei uns kann so etwas nicht passieren.
Mich hat die Nachricht bei einem Konzert von Jasha Heifetz erreicht, und ich war wie von Blitzschlag getroffen. Mit meinem Jura - Doktortitel konnte ich wegen den ersten antijuedischen Gesetzen schon nichts anfangen, aber mit nur 24 Jahren habe ich eine viel versprechende Karriere bei der riesigen Landwirtschaftmaschinenbau Firma, Hoffherr Schrantz- Clayton Shuttleworth - welch ein eindrucksvoller Name - begonnen, wo mir als Abteilungsleiter die komplizierte Einfuehrung des damals modernsten Elliot-Fischer Buchungsmaschienen Systeme anvertraut worden war.
Von fruehester Kindheit an habe ich ein Doppelleben gefuehrt. Mit sieben habe ich angefangen Cello zu studieren, und an der noch immer auf hoechster Stufe stehenden Franz Liszt Akademie habe ich als Bewunderer und Schueler des unvergleichlichen Professors Leo Weiner, dem Jupiter des Kammermusikunterrichts, Jahre verbracht.
Die taegliche Qual mit tausenden von Buchungs Eintrtaegen wurde durch Orgien von Opernvorstellungen, Konzertbesuchen und vor allem mit Kammermusikabenden mit erstklassigen Kommilitonen von der Akademie, von denen spaeter viele weltberuehmt wurden, ertraeglich gemacht.
Ich las viel und habe die immer duesterer werdenden Sturmwolken, die sich ueber Europa zusammenzogen, in ihrer wahren Gefaehrlichkeit erkannt.
Die Nachricht ueber den Anschluss hat mich noch waehrend des Heifetz- Konzerts ueberwaeltigt. Stundenlang auf dem schon leer gewordenen Ring herumirrend, habe ich den festen Entschluss gefasst: Rauss aus diesem Land!
Ja, aber wie? In Ungarn war in den Reisepaessen die religioese - Zugehoerigkeit schon Jahre vor dem “J” Stempel eingetragen. In den spaeten dreissiger Jahren ist es unmoeglich geworden, mit einem “juedischen” Reisepass ein Ein- oder Durchreisevisum zu erhalten. Noch waehrend dieser langen Nacht ist mir eine Idee, wenn auch eine naive und aussichtslose, eingefallen. Wie waere es, wenn ich als voll qualifizierter Cellist versuchen wuerde, in einem sogenannten Salonorchester einen Platz zu finden, das mich dann ins Ausland mitnehmen wuerde? In meiner Naivitaet dachte ich, dass wenn ich schon im Ausland bin, kann ich nach England reisen und dort in Oxford oder Cambridge weiter Jura studieren...
Um mich als Salonorchester -Musiker zu qualifiizieren, habe ich mich dringend mit Klarinette, Es -Alto- Saxophon, einer Gitarre, einer Geige und, lebenswichtig, einem Kontrabass ausgeruestet. Im Wintergarten unserer stattlichen Wohnung am Parlamentplatz habe ich angefangen, alle diese Instrumente zu studieren, mit den zu erwartenden jaemmerlichen Erfolgen.
Ich wusste, dass ein ehemaliger Kommilitone von der Akademie im Cafe New York, dieser Kathedrale mitteleuropaeischer Kaffehaeuser, als Stehgeiger ein Salonorchester gefuehrt hat. Er hat mir erlaubt, jeden Abend als Cellist in seinem Orchester mitzuspielen, natuerlich ohne dafuer bezahlt zu werden.
Es war mir sehr wichtig, das dieses Orchester auf einer Empore gespielt hat, so dass von unten der Cellist von den Gaesten ueberhaupt nicht gesehen werden konnte. Das war fuer mich sehr wichtig, da diese Taetigkeit verheimlicht werden musste. Cellospielen im Cafe New York war nicht mit Elliot-Fischer Buchungsmachinen vereinbar.
Waehrend die Sturmvolken ueber Europa immer dicker wurden, und sogar die in Ungarn nur sehr oberflaechlich berichtete Kristallnacht juedische Emfindlichkeiten noch immer nicht aufwuehlen konnte - Bei uns kann so etwas nicht passieren - fand ich, dass meine Abende in Gesellschaft von mueden, uninteressierten und begabungslosen Musikern nichts brachten, und meine selten in Kaffehaeusern gehoerte Cellosoli schienen niemanden unter den Gaesten zu beeindruecken. Ich wurde mehr und mehr ueberzeugt, dass meine Bemuehungen nichts bringen wuerden.
Eines Abends, waehrend wir einen faden Potpurri von Kalman spielten, sah ich, dass der Pianist, ein aelterer, hagerer Mann mit einem immer vollen Bierglass auf seinem Pianodeckel, und mit einer immer brennenden Zigarette von den Lippen haengend, dessen gluehender Stummel eine Taste am Klavier bis in die Tiefen durchgebrannt hat, auf einmal zu spielen aufhoerte und mit beiden Armen bis den Boden haengend, seinen Kopf auf die Tasten fallen liess.
Ich dachte, dass der Mann, mit dem ich in den Wochen meines Gastspiels nicht ein einziges Wort gewechselt hatte, einen Herzanfall erlitten hat. Ohne einen Augenblick zu warten, fing das Orchester an La Cumparsita zu spielen, das auch ohne Piano moeglich ist. Mikulai, der Stehgeiger fluesterte dem zweiten Geiger zu- “Rasch! telephoniere ans Cafe Kolozsvar und finde einen Ersatzpianisten!.”
Das Cafe Kolozsvar in einer der duesteren Seitenstrassen gegenueber der New York Kathedrale, war ein schaebiges Etablissement, wo arbeitslose Musiker Tag und Nacht auf einen “GIG” gewartet haben.
In der Zwischenzeit wurde der scheinbar in Ohnmacht gefallene Pianist in den Hintergrund geschleppt, und in einem alten Strohstuhl sitzend, mit noch immer haengenden Armen, gab er einen genuesslich schnarchenden, besoffenen, aber friedlichen Eindruck,
Es hat keine fuenf Minuten gedauert, waehrend wir noch immer La Cumparsita herunterdroschen, dass ein Musiker, auch mit einer von den Lippen haengenden brennenden Zigarette, atemlos ankam, und sich ohne weiteres auf den Klavierstuhl niederliess.
Das naechste Stueck in unserem selten gewechselten Repertoire war eine Suite von Opern von Puccini. Dieses Stueck gab mir immer Gelegenheit, die wenigen Hoehepunkte wenigsten so zu gestalten, als ob ich wirklich musiziert haette. In der Aufregung habe ich Suave Fanciulla und die Recondite Harmonie mit mehr als der ueblicher Hingabe gespielt.
Als wir aufgehoert hatten, schlich der Pianist, mit seine Cigarette im Mundwinkel zu mir und sagte
“Herr Kollege, moechten Sie mit mi nach Teheran Kommen?”
Was konnte ich antworten? “Natuerlich! Wann fahren wir?” Ich dachte, dass das alles im Scherz gemeint war. Der Pianist war fast beleidigt. ‘
“Ich habe ein Kontrakt mit meinem Salonorchester nach Teheran zu fahren, und ich brauche dringend einen Cellisten, der so spielt wie Sie.“
Ich habe Herrn Szell, der bei der Gelegenheit, trotz Zigarettenstuemmel, ein guter und geuebter Pianist zu sein schien, fuer ein Abendessen in einem in der Naehe liegenden Restaurant eingeladen. Es stellte sich heraus, dass er mit seinem Orchester ein Jahr in der Tuerkei gearbeitet hatte, und dass jemand der sich als Agent fuer Taenzer, Animierdamen und Musiker fuer den Mittleren Osten ausgab, ihm einen Kontrakt fuer sechs Monate im Cafe Pars in Teheran angeboten hat. Visa, und Reisegeld sollten noch ankommen.
Dringend wichtig fuer ihn war, dass jedes Mitglied seines Orchesters ueber einen Reisepass verfuegen sollte, in dem er als Nichtjude beschrieben wurde.
Waehrend den naechsten Wochen begann der muehsame und teure Kampf, mit Hilfe eines professionellen Mittlers die unzaehligen gierigen Beamten zu schmieren, um eine Ausreise nach Teheran zu ermoeglichen. Der Preis meiner Verwandlung in einem Augustiner Evangelischer Berufsmusiker und Mitglied der Gewerkschaft, der nicht Militaerdienst - pflichtig ist, wurde woechentlich groesser, aber nach nervenaufreibenden Wochen stand ich vor dem geschaeftsfuehrenden Direktor von Hoffherr Schrantz-Clayton Shuttleworth und habe mich entschuldigt, meinen Posten ohne die noetige ein- Monat-Frist, zum Ende der Woche kuendigen zu muessen.
Herr Erdos und alle andere Direktoren, wo ich mich gemeldet hatte, waren fassungslos.
“Was faellt Ihnen ein? Nach Teheran wollen Sie? Und Saxophon spielen?”
Die 27 - taegige Reise nach Teheran, wo unsere kleine Wagenkolonne in den Bergen von Woelfen angegriffen wurde, und wo meinem auf dem Dach befestigten Kontrabass die enge Bruecke ueber den Euphrates den Nacken gebrochen hat, und was noch alles mit mir geschehen ist, habe ich anderswo beschrieben. (“MY Special Operations (Europe))” Das Buch ist auch in ungarischer Uebersetzung (460 Seiten - Scolar Verlag) in April 2010 in Ungarn erschienen.
Hier will ich nur bekennen, dass der besoffene Pianist im Cafe New York den fuer mich bestimmten Werdegang ein fuer allemal veraendert hat.
Wenn er nicht mehr als ueblich getrunken haette, waere ich im Laufe des sich immer bestialischer entpuppenden ungarischen Judenhasses zuerst im Militaer-Arbeitsdienst an der Russischen Front von sadistischen ungarischen Unteroffizieren zu Tode gequaelt, oder spaeter im Budapester Ghetto erfroren, ausgehungert oder ans Ufer der Donau gezerrt, nackt erschossen und in den Eisschollen geworfen, wie unzaehlige andere, oder mit den 463000 Judischen Mitbuergern nach Auschwitz verfrachtet, oder auf den Todesmaerschen nach Mauthausen auf der Strasse erschossen.
Und wenn ich all das ueberlebt haette, waere ich in den Faengen der niedertraechtigsten Stalinistischen Diktatur als Volksfeind gefoltert und wahrscheinlich zum Tode verurteilt worden...
Ueber siebzig Jahre nach mein Suave Fanciulla Solo fand ich mich in Budapest wo meine Erinnerungen ueber meine Jugend und Kriegsjahre veroeffentlicht wurden. Ich musste das Cafe New York besuchen. Inzwischen ist es mit millionenschweren Restaurationen in eine noch vergoldetere und vermarmoriertere Kathedrale unter dem Namen Boscolo neu eroeffnet geworden.
All diese Pracht hat mich nicht beeindruckt. Die alte Waerme, wo Generationen der Elite ungarischer Literatur, Kunst und Wissenschaft ueber ihre Espressos Meisterwerke geschaffen und besprochen haben, war fuer immer verschwunden. Nur die Geister der Ermordeten, Verjagten, Gefolterten, Erniedrigten und Ausgepluenderten spukten noch in den herrlichen Saelen. Ich habe meinen winzigsten und teuersten Macchiato genossen. Doch, ein Beweis dass ich meinen Kampf gewonnen habe...
Sunday, 6 March 2011
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